Wenn es um Heilung geht, denken wir häufig an unseren Körper: 37 Billionen Zellen, eine sich alle 27 Tage erneuernde Haut, ein Gehirn mit etwa 86 Milliarden Nervenzellen. Doch was ist, wenn nicht der Körper, sondern die Seele leidet? Wenn die Psyche ins Wanken gerät? Dann hilft kein Pflaster. Dann braucht es Vertrauen, Verständnis – und manchmal einfach andere Menschen, die ähnliche Erfahrungen machen. Im Studio von „Trude Kuh“ sprach Georg Mahn mit Andrea Poppe-Aumüller und Darja Miller, zwei engagierten Frauen, die mit der Kontaktstelle für Selbsthilfe im Landkreis Cloppenburg täglich genau dieses Vertrauen vermitteln.
Die Vielfalt der Themen – Selbsthilfe ist mehr als Sucht
Was viele überrascht: Selbsthilfegruppen sind nicht ausschließlich für Menschen mit Suchtproblemen gedacht. Das Spektrum der Themen ist bemerkenswert breit. In Cloppenburg gibt es Gruppen für ADHS, Depressionen, soziale Ängste, Demenz, chronische Schmerzen, Angehörige von Menschen mit Down-Syndrom, Autismus, und viele mehr. Darja Miller und Andrea Poppe-Aumüller machten im Gespräch mit Georg Mahn deutlich, wie groß der Bedarf ist – auch und gerade auf dem Land. Die Gruppen entstehen häufig aus Eigeninitiative: Menschen rufen an, suchen Austausch, möchten gehört werden. Und wenn es noch keine passende Gruppe gibt? Dann wird eben eine neue gegründet. Mit aktiver Unterstützung der Kontaktstelle.
Dabei zeigt sich: Die Themenvielfalt ist Ausdruck gesellschaftlicher Veränderungen. Der Mut, über psychische Belastungen zu sprechen, ist gewachsen. Wo früher Scham und Zurückhaltung herrschten, gibt es heute mehr Offenheit – auch wenn noch immer viel Arbeit vor uns liegt. Die Kontaktstelle, in der Trägerschaft der Volkshochschule für den Landkreis Cloppenburg, leistet seit den 1990er Jahren Pionierarbeit. Was einst klein begann, ist heute ein tragfähiges Netz von rund 90 Gruppen im gesamten Landkreis.
Niedrigschwellig, menschlich, effektiv – so arbeiten Selbsthilfegruppen
Ein zentrales Anliegen der Kontaktstelle ist es, Berührungsängste abzubauen. Denn viele Menschen haben stereotype Bilder im Kopf, wenn sie das Wort „Selbsthilfegruppe“ hören – anonyme Stuhlkreise, emotionale Seelen-Striptease oder verstaubte Gemeindesäle. Doch wie Andrea Poppe-Aumüller im Interview schildert, ist die Realität eine andere: Jede Gruppe gestaltet sich selbst. Ob Gespräch, gemeinsame Aktivitäten oder Infoveranstaltungen – der Kreativität sind keine Grenzen gesetzt. Wichtig ist: Niemand wird zu etwas gezwungen. Alles geschieht freiwillig und im geschützten Rahmen.
Darja Miller bringt zudem ihre Perspektive als Erziehungswissenschaftlerin ein. Besonders liegt ihr die junge Selbsthilfe am Herzen – denn auch junge Menschen leiden unter Ängsten, Depressionen oder dem Gefühl des Alleinseins. Für sie gibt es inzwischen spezielle Gruppen mit einem niedrigeren Altersdurchschnitt, damit sich die Teilnehmer:innen besser identifizieren können. Denn das ist entscheidend: sich verstanden fühlen, sich nicht mehr fremd vorkommen – und dadurch neuen Mut schöpfen.
Kein Ersatz für Therapie aber eine wichtige Ergänzung
Natürlich ersetzt eine Selbsthilfegruppe keine psychotherapeutische Behandlung. Doch sie kann ergänzen, stabilisieren und vor allem: überbrücken. Denn Therapieplätze sind rar – auch im Landkreis Cloppenburg. Wartezeiten von bis zu zwei Jahren sind keine Seltenheit. Hier kommt das Angebot der Selbsthilfe ins Spiel. Menschen erhalten Raum für Austausch, für emotionale Entlastung und für die Erkenntnis: Ich bin nicht allein. Diese Einsicht kann bereits ein erster, sehr heilsamer Schritt sein.
Im Interview mit Georg Mahn berichten die beiden Expertinnen von Gründungstreffen, bei denen spürbar wird, wie sehr diese Erkenntnis wirkt. Tränen fließen, Lasten fallen ab – einfach, weil man in andere Gesichter blickt, die verstehen. Die selbst erleben, was man sonst kaum auszusprechen wagt. Für viele ist das ein Befreiungsschlag.
Engagement, das Mut macht – und Menschen verändert
Ein besonders bewegendes Beispiel aus dem Studio-Gespräch: Eine Gruppe von Menschen mit psychischen Erkrankungen hat eine gemeinsame Zugreise organisiert – für viele von ihnen eine enorme Herausforderung. Die Fahrt nach Oldenburg wurde zu einem Triumph über die eigene Angst. Möglich gemacht durch die Gemeinschaft, das gegenseitige Vertrauen, den Rückhalt in der Gruppe. Und durch Menschen wie Andrea Poppe-Aumüller und Darja Miller, die diese Entwicklungen begleiten und ermöglichen.
Solche Erlebnisse sind keine Ausnahme. Viele, die einst schüchtern und leise eine Selbsthilfegruppe betraten, stehen heute mutig in der Öffentlichkeit, zeigen Gesicht und erzählen ihre Geschichte. Auf Selbsthilfetagen, bei Kinovorführungen oder öffentlichen Veranstaltungen. Öffentlichkeitsarbeit ist ein wichtiger Teil der Selbsthilfebewegung geworden – nicht aus Geltungsdrang, sondern aus dem Wunsch, anderen Mut zu machen.
Eine starke Struktur im Landkreis – lokal, nah, engagiert
Das Büro der Kontaktstelle befindet sich in Cloppenburg – doch die Wirkung reicht weit darüber hinaus. Im gesamten Landkreis gibt es Gruppen und Anlaufstellen. Die Mitarbeitenden der Kontaktstelle sind bereit, zu den Menschen zu fahren, Hausbesuche zu machen, individuelle Lösungen zu finden. Gerade im ländlichen Raum ist dieses flexible, persönliche Engagement entscheidend.
Und obwohl die Nachfrage hoch ist, bleibt der Ton in der Kontaktstelle warm und zugewandt. Es geht um Menschen, nicht um Akten. Um Geschichten, nicht um Diagnosen. Das spürt man auch im Studio, im Gespräch mit Georg Mahn. Die beiden Gäste sprechen offen, ehrlich, empathisch – und zeigen damit, wie menschlich und wirkungsvoll Selbsthilfe sein kann.
Die Kontaktstelle – ein starkes Portfolio mit Herz
Es ist schwer, das gesamte Portfolio der Kontaktstelle für Selbsthilfe Cloppenburg in wenigen Worten zu beschreiben. Zu vielfältig, zu individuell sind die Themen, die Menschen bewegen. Aber gerade diese Breite macht das Angebot so wertvoll. Ob Depression oder Diabetes, Trauer oder Trauma – hier findet jede:r einen Ankerpunkt. Die Kontaktstelle zeigt: Selbsthilfe ist keine Nische. Sie ist eine tragende Säule in unserem sozialen Gefüge.
Und sie lebt vom Engagement. Von Menschen, die zuhören. Die begleiten. Die Strukturen schaffen. Darja Miller und Andrea Poppe-Aumüller sind solche Menschen – und mit ihnen ein ganzes Netzwerk, das Hoffnung schenkt. Hoffnung, dass niemand allein sein muss mit seinen Sorgen.
Fazit: Selbsthilfe ist eine Stärke – keine Schwäche
Die Kontaktstelle in Cloppenburg beweist eindrucksvoll, wie wichtig Selbsthilfegruppen als Teil unserer Gesundheitsversorgung sind. Sie fangen auf, was anderswo durchs Raster fällt. Sie ermutigen, stärken, verbinden. Und sie zeigen: Es ist keine Schwäche, Hilfe anzunehmen. Es ist ein Zeichen von Stärke, sich anderen zu öffnen – und dadurch neue Kraft zu schöpfen. Wer sich mit einem Problem allein fühlt, findet hier nicht nur eine Gruppe, sondern vielleicht auch ein neues Stück Lebensqualität.